Gastartikel: Mein Kommentar an den Deutschen Ethikrat wegen seiner Empfehlung an die Bundesregierung

Den nachfolgenden Text habe ich am 27. August 2012 für MOGiS e.V. geschrieben, auf deren Website er bis vor einiger Zeit noch abrufbar war. Dass er momentan dort nicht mehr abrufbar ist, fiel mir erst auf, als ich im Zuge meiner Arbeit an meinem Buch „Komikernation Deutschland – 10 Jahre Beschneidungsdebatte“ nach dem Text suchte.

Ein Gastbeitrag von Ulf Dunkel

Ich habe die öffentliche Sitzung des Ethikrats zum Thema Beschneidung samt Diskussion, Pressegespräch und Presseerklärung des Ethikrats aufmerksam angehört und gelesen.

Vordergründig hat es den Anschein, als würden hier wirklich seriöse Erwachsene mit hoher Bildung miteinander „fachsimpeln“, um zu einem guten Konsens zu kommen. Doch es bleibt der Eindruck, als wenn der Ethikrat durch seinen sehr starken religiös motivierten Flügel schon nicht ausgewogen genug besetzt ist, um ein solches – wie in der Diskussion deutlich wurde – weltweit wichtiges Thema ausgewogen besprechen zu können. Wer das verbale Niveau solcher Diskussionen unter Studierten kennt, hört sehr wohl heraus, wie flach die Argumentationsketten einiger Beschneidungsbefürworter waren und vorgetragen wurden und wie billig einige Angriffe gegen die klare und m.E. sehr gut fundiert vorgetragene Position von Herrn Merkel waren.

Ich fand es vor allem sehr durchsichtig, wie Herr Latasch schon von Anfang an durch seine „tollen“ Fundstücke aus dem „bösen“ Internet klarmachte, wohin die Reise gehen soll. Wer mehrfach eine einmalige, ungeschickte Formulierung der Beschneidungsgegner (gemeint ist hier die Phrase „sexuelle Gewalt“, die tatsächlich in unserer Gesellschaft recht merkwürdig besetzt ist, weil ja selbst Vergewaltigungen von Frauen in unserer machistischen Sprache immer wieder mit Reduktionsformulierungen abgeschwächt werden sollen) anprangert, gleichzeitig aber wiederholt dazu auffordert, nicht so plakativ zu argumentieren, wie es ihm bei Herrn Merkel der Fall schien, entlarvt sich selbst als vorfestgelegt.

Insgesamt muss ich festhalten, dass allein Herr Merkel das juristische und damit das relevanteste Dilemma sauber hergeleitet und benannt hat. Es bleibt trotz aller Versuche seines Kollegen Höfling und anderer ein Fakt, dass juristisch die Situation glasklar ist – die Beschneidung ist eine (gefährliche) Körperverletzung, die mit deutschem Recht so nicht vertretbar ist. Da spielen auch religiöse Traditionen und gewünschte Narkosen keine Rolle. Merkel wies absolut zurecht darauf hin, dass das Problem sich für die Judikative nicht stellen kann, denn die Rechtlage ist hier absolut eindeutig. Das Problem liegt bei der Legislative, die schon in der völlig übereilten Resolution vom Juli gezeigt hat, dass es einem Großteil des Bundestags egal zu sein scheint, dass Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und 2001 die „Prügelstrafe“ in Deutschland endlich unter Strafe gestellt hat.

Der Ethikrat hat mit seiner Empfehlung weder der Bundesregierung, den betroffenen Religionsgemeinschaften noch Deutschland und der Welt insgesamt einen Gefallen getan. Denn es steht zu befürchten, dass der Bundestag ein Gesetz verabschieden wird, das dann eben doch in irgendeiner Form eine Sonderregelung für religiöse Beschneidungen findet. Das wurde in den meisten Argumenten der Befürworter sehr deutlich, die sich damit deutlich gegen die UN-Kinderrechtskonvention stellten. Damit aber würde das heutige Deutschland den Boden des Grundgesetzes verlassen und sich deutlich in die Richtung eines Unrechtsstaats bewegen. Und das nur, damit eine religiöse Tradition, die in sich fragwürdig und antiquiert ist und seit Jahrtausenden (sic!) auch schon kritisiert und immer wieder verboten wurde, aufrecht zu erhalten? Die Beschneidung hat nicht die Relevanz, die uns Zuhörenden weisgemacht werden sollte von den Vertretern der Religionen. Sie ist keine religionsstiftende, sondern eine religionsbestätigende, rituelle Handlung, die deshalb durchaus auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Das allerdings müssen die Religionen des Islams und Judentums intern für sich formulieren. Von Anfang an in der Debatte stur auf dem 8-Tage-„Gesetz“ der Bibel zu beharren, wie es die offizielle jüdische Seite immer wieder macht, ist einer Problemlösung nicht dienlich.

Ich würde mir wünschen, dass der Ethikrat sich nicht nur als Argumentelieferant für eine konservative Bundesregierung ausnutzen lässt (die bisher schon so viele Gesetze abgeliefert hat, die anschließend von obersten Gerichten wieder einkassiert werden mussten), sondern in einer nächsten „Instanz“ eine eigene, zweite Debatte führt, in der die ethische Frage gelöst wird, wie man alten Religionen auf dem Boden unseres Grundgesetzes helfen kann, ihr „Gesicht zu wahren“ und trotzdem nicht gegen staatliche Gesetze zu verstoßen. Das ist das religionspolitische Dilemma, das Herr Merkel ansprach und das vom Ethikrat nicht aufgegriffen wurde. Es ist aus meiner Sicht unzureichend, einen Gesetzesentwurf zu empfehlen, der erstmal eine Rechtssicherheit für die Beschneider schafft, und erst dann in die tiefere Forschung der möglichen Folgen (auch Spätfolgen) von Beschneidung einzusteigen. Dadurch wird eine spätere Revision eines dann schon sicher weltweit argumentativ benutzten (und m.E. missbrauchten) vorschnell erlassenen Gesetzes fast unmöglich gemacht.

Eine aus meiner Sicht sinnvolle Lösung auf dem Boden des deutschen Rechts kann wohl nur so aussehen, dass die Beschneidung als nicht religionsstiftendes, sondern nur religionsbestätigendes Ritual zwingend in einen Lebensabschnitt des zu Beschneidenden verschoben werden muss, in dem er schon entscheidungsfähig (im Sinne des Gesetzes) ist. Alles andere wäre aus meiner Sicht Rechtsbeugung zu Gunsten von Religionen, die diametral unserem Rechtsverständnis, unserem Verständnis vom zu schützenden Rechtsgut „Kindeswohl“ und unserem Verständnis auch von Religionsfreiheit gegenüberstünde und einen weitaus verhehrenderen Schaden für die gesamte Gesellschaft hätte, als es der vorgebliche Schaden für Judentum und Islam sein kann, wenn ihre Jungen erst beschnitten werden, nachdem sie in eigener Entscheidungsfreiheit zugestimmt haben.

Dass dadurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Brauch der Beschneidung über die Zeit zurückgehen wird, sollte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention sein, wenn Deutschland und der Ethikrat sich schon nicht daran halten und dieses archaische Ritual, das heute jeder sachlichen, juristischen, vernünftigen und sogar religionsstiftenden Grundlage entbehrt, einfach für den Rechtsraum Deutschland verbieten.

Falls Sie bis hierher gelesen haben, danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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